Forschung und Science-Fiction sind seit Anfang der 1970er Jahre von Brain-Machine- oder Brain-Computer-Interfaces – kurz BCI – fasziniert. Abgesehen von Cyborgs und der Spieleindustrie liegen die wichtigsten Anwendungspotenziale in der gedankengesteuerten Kommunikation und Bewegungsunterstützung von körperlich behinderten Menschen. Heute stehen BCIs an der Schwelle zwischen Laborprototypen und benutzerfreundlichen realen Anwendungen. Unter Federführung der TU Graz wurde für das EU-Förderprogramm Horizon 2020 eine BCI-Roadmap für die BCI-Forschung in den kommenden zehn Jahren entwickelt. Die Roadmap bietet eine globale Perspektive auf die BCI-Forschung, zeigt Potenziale und Herausforderungen auf und artikuliert die gegenwärtigen Lücken zwischen aktuellen und zukünftigen Anwendungen.
Marktpotential zwischen Mensch und Maschine
Wie Gernot Müller-Putz vom Institute of Knowledge Discovery der TU Graz, ein international anerkannter BCI-Experte, der die Entwicklung der Forschungsroadmap koordiniert hat, erklärt: „Konkret dient die BCI-Roadmap als Orientierungshilfe für Forschungsförderungsbehörden, sondern vermittelt der Forschungswelt einen qualifizierten Blick auf den Stand der Dinge und BCI-Trends." BCIs haben nicht nur in der Forschung einen weiten Weg zurückgelegt, sie haben mittlerweile ein enormes Marktpotenzial – und das nicht nur im Bereich der Medizin. „Wir haben weltweit rund 150 Unternehmen identifiziert, die sich mit BCI befassen, von Technologieunternehmen über die Marketingbranche bis hin zur Luftfahrtindustrie. Kommerzielle Anwendungen in der Unterh altungsindustrie rücken zunehmend in den Fokus. Ohne sie würden BCIs in absehbarer Zeit unbezahlbar werden. Unsere Roadmap Horizon 2020 skizziert einen Weg zum tatsächlichen, bezahlbaren und nutzerfreundlichen Einsatz von BCIs“, so Müller-Putz.
BCI jetzt und in Zukunft
Das internationale Team hinter der BCI-Roadmap illustrierte seine Ergebnisse mit fiktiven Fallstudien. BCIs der Zukunft können Körperfunktionen ersetzen, wiederherstellen, verbessern und erweitern. „Das beginnt bei der Kommunikationsfähigkeit, findet über die Stimulation von Muskeln und Nerven statt und reicht bis zur gesteigerten Aufmerksamkeitsfähigkeit“, fasst Müller-Putz zusammen. Im Jahr 2025 wird es ein breites Spektrum gehirngesteuerter Anwendungen geben, die laut BCI-Roadmap zum Standard in der medizinischen Behandlung und Therapie sowie in der Überwachung der persönlichen Gesundheit gehören werden. Neben Gehirnsignalen spielen auch andere Biosignale wie der Herzschlag oder die elektrische Leitfähigkeit der Haut eine Rolle bei der nahtlosen und intuitiven Verbindung zwischen Mensch und Maschine.
Neuroprothetische Greifer
Gernot Müller-Putz koordiniert derzeit mit seinem Team an der TU Graz ein dreijähriges EU-Forschungsprojekt namens „MoreGrasp“mit dem Ziel, einen extrem anpassungsfähigen neuroprothetischen Greifer zu entwickeln. Wenn Sie beispielsweise bei einer Querschnittslähmung einen Gegenstand nicht mehr greifen können, sind viele alltägliche Aufgaben vom Kochen bis zum Zähneputzen nicht mehr möglich. Plötzlich ist man ständig auf Hilfe angewiesen. Personalisierte neuroprothetische Greifzangen können eine enorme Hilfe sein und Ihnen ein Stück Lebensqualität zurückgeben. Die Entwicklung basiert darauf, dass sich Gehirnwellenmuster verändern, wenn man an bestimmte Bewegungen denkt. Das Gehirn-Computer-Interface misst diese Muster und die Neuroprothese stimuliert gezielt bestimmte Muskeln in Armen und Händen, bis sie sich bewegen.
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