Viele bakterielle Krankheitserreger scheiden Toxine aus, sobald sie in den Wirt eingedrungen sind, um dessen Immunantwort zu unterdrücken. Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) haben analysiert, was auf molekularer Ebene passiert, wenn der Durchfallerreger Yersinia pseudotuberculosis in den Angriffsmodus wechselt. Dazu untersuchten sie sogenannte RNA-Thermometer, die den Bakterien signalisieren, ob sie sich im Wirt befinden.
In Zusammenarbeit mit Kollegen des Helmholtz-Instituts für Infektionsforschung in Braunschweig zeigten sie außerdem, dass Bakterien mit deaktivierten RNA-Thermometern keine Infektion mehr auslösen können. Die Zeitschrift PLOS Pathogens berichtet am 17. Januar 2020 online über die Studie.
RNA-Thermometer schmilzt bei 37 Grad Celsius
„Wir wussten aus früheren Studien, dass Yersinia-Bakterien sehr empfindlich auf Temperaturänderungen reagieren und anhand der Körpertemperatur erkennen, dass sie sich in ihrem Wirt befinden“, sagt Professor Franz Narberhaus vom RUB-Lehrstuhl für Mikrobielle Biologie. RNA-Thermometer sind für die Temperaturmessung zuständig. Sie sind Abschnitte in der Boten-RNA vieler Gene, die den Bauplan für krankmachende Proteine enth alten.
Bei niedrigen Temperaturen, also außerhalb des Wirts, verhindern RNA-Thermometer, dass die RNA abgelesen und in Proteine übersetzt wird. Erst nach erfolgreicher Infektion des Warmblüters, also bei einer Temperatur von etwa 37 Grad Celsius, schmelzen die RNA-Strukturen. Sie können dann in Proteine geschrieben werden, die eine schädliche Wirkung auf den Wirt haben. In der aktuellen Veröffentlichung beschreiben die Wissenschaftler den zugrunde liegenden Schmelzmechanismus des RNA-Thermometers für eines der Toxine von Yersinia pseudotuberculosis, nämlich das CnfY-Toxin.
Bakterien mit nicht funktionierenden Thermometern verursachen keine Krankheit
Doktorand Christian Twittenhoff aus Bochum hat anhand isolierter Zellbestandteile des Durchfallerregers gezeigt, welche Struktur das RNA-Thermometer für das CnfY-Toxin annimmt und wo es schmilzt. Der Biologe erstellte ein Modell, das dokumentiert, wie sich das Thermometer öffnet. Es zeigt auch, wie das Ribosom – der Zellbestandteil, an dem die Boten-RNA in ein Protein übersetzt wird – an die Boten-RNA andockt.
In Zusammenarbeit mit der Gruppe um Professorin Petra Dersch, ehemals Helmholtz-Institut in Braunschweig, jetzt an der Universität Münster, demonstrierten die Forscher außerdem die Rolle des RNA-Thermometers im Krankheitsprozess. Sie infizierten Mäuse mit Yersinia-Bakterien, die entweder funktionierende RNA-Thermometer oder inaktivierte RNA-Thermometer hatten, die bei 37 Grad Celsius nicht schmelzen konnten. Die Bakterienstämme mit modifizierten RNA-Thermometern konnten Mäuse nicht krank machen.„Die Ergebnisse haben gezeigt, wie wichtig sehr kurze regulatorische RNA-Sequenzen für den erfolgreichen Infektionsverlauf eines Bakteriums sein können“, resümiert Christian Twittenhoff, Erstautor der Studie.
Verdacht auf ähnliche Mechanismen bei anderen Bakterien
Christian Twittenhoff hat das Gen des CnfY-Toxins mithilfe bioinformatischer Methoden mit Toxin-Genen anderer Krankheitserreger verglichen. Die Analyse deutet darauf hin, dass auch andere Toxingene durch RNA-Thermometer reguliert werden könnten. „Obwohl die Sequenzen sehr unterschiedlich sind, können wir vorhersagen, welche RNA-Strukturen wahrscheinlich als Thermometer fungieren“, erklärt er.
"RNA-Thermometer funktionieren über einen sehr einfachen Mechanismus, der sich vermutlich im Laufe der Evolution bewährt und sich daher vielfach und unabhängig voneinander entwickelt hat", vermutet Franz Narberhaus. Grundsätzlich ist es möglich, eine bakterielle Infektion zu verhindern, indem man das Schmelzen solcher RNA-Strukturen verhindert.„Allerdings kennen wir noch keine Substanzen, die RNA-Thermometer im geschlossenen Zustand einfrieren“, so Narberhaus weiter.