Hintergrund
Chitosane, sogenannte Polysaccharide, sind die wohl vielseitigsten und vielversprechendsten funktionellen Biopolymere. Chitosane können Pflanzen widerstandsfähig gegen Krankheiten machen, ihr Wachstum fördern und sie vor Hitze- oder Trockenstress schützen. Unter Chitosanverbänden können selbst große Wunden narbenfrei heilen, Chitosan-Nanopartikel können Medikamente über die Blut-Hirn-Schranke transportieren und Chitosane können als antimikrobielle und immunstimulierende Futtermittelzusätze Antibiotika in der Tiermast ersetzen. Aber natürlich sind Chitosane auch keine Wundermittel. „Es gibt viele verschiedene Chitosane und für jede individuelle Anwendung muss genau das Richtige gefunden werden, damit es funktioniert. Bisher wussten wir viel zu wenig über ihre Wirkung und wie sie effektiv eingesetzt werden können. Mit unserer Forschung haben wir es jetzt geschafft.“diesem Verständnis einen Schritt näher kommen", erklärt Prof. Dr. Bruno Moerschbacher vom Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der WWU.
Chitosane bestehen aus unterschiedlich langen Ketten eines Einfachzuckers namens Glucosamin. Einige dieser Zuckermoleküle tragen ein Essigsäuremolekül, andere nicht. Chitosane unterscheiden sich daher in drei Faktoren: der Kettenlänge sowie der Anzahl und Verteilung der Essigsäurereste entlang der Zuckerkette. Seit rund zwanzig Jahren können Chemiker Chitosane unterschiedlicher Kettenlänge und mit unterschiedlichen Mengen an Essigsäureresten herstellen, deren biologische Wirkungen dann von Biologen untersucht wurden. So entwickelte sich langsam ein Verständnis dafür, wie diese beiden Faktoren die antimikrobielle bzw. pflanzenstärkende Wirkung von Chitosanen beeinflussen. Solche gut charakterisierten Chitosane, die heute als Chitosane der zweiten Generation bezeichnet werden, dienen derzeit als Grundlage für neue Produkte auf Chitosanbasis wie das pflanzliche Biostimulans „Kitostim“, das auf der Grundlage der Forschungsergebnisse des Münsteraner Teams entwickelt wurde. Es fördert das Wachstum und die Entwicklung der Pflanzen und stärkt sie gegen Krankheiten und Hitzestress.
Bruno Moerschbacher vermutete schon früh, dass auch der dritte Strukturfaktor, die Verteilung der Essigsäurereste entlang der Zuckerkette, eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung biologischer Aktivitäten spielt. Diese Hypothese konnte jedoch lange nicht überprüft werden, da die Essigsäurereste in allen chemisch hergestellten Chitosanen zufällig verteilt sind. Als Biochemiker und Biotechnologen haben die Mitglieder seines Teams daher Enzyme zur Herstellung von Chitosanen, d.e. die natürlichen „Werkzeuge“, die an der Biosynthese von Chitosan in chitosanh altigen Pilzen beteiligt sind. Mit ihrer Hilfe ist es ihnen nun gelungen, kurze Chitosanketten, sogenannte Oligomere, mit einer definierten Anordnung von Essigsäuremolekülen herzustellen und auf ihre Bioaktivität zu testen.
Für diesen Test verwendeten die Forscher Reiszellen, die sie mit Chitosan-Oligomeren behandelten, um ihr Immunsystem zu stimulieren. Als sie Chitosan-Oligomere verwendeten, die aus vier Zuckereinheiten (sogenannten Tetrameren) bestanden, die nur einen einzigen Essigsäurerest trugen, stellten sie fest, dass das Tetramer mit dem Essigsäurerest an der ersten (am weitesten links stehenden) Zuckereinheit (der sog. genannt nicht-reduzierendes Ende) hatte eine starke immunstimulierende Wirkung, während die anderen drei Tetramere weniger aktiv oder inaktiv waren. So wurden sehr deutliche Unterschiede in der Bioaktivität zwischen Chitosanen mit gleicher Kettenlänge (vier) und gleicher Anzahl an Essigsäureresten (eins) gefunden, wenn sie sich in der Position des Essigsäurerests unterschieden. Die Forscher um Bruno Moerschbacher testen derzeit die Verwendung dieses Tetramers als eine Art Impfstoff, der das natürliche Immunsystem der Pflanzen stimuliert.
Ausblick
Eine so deutliche Abhängigkeit der Bioaktivität eines komplexen Zuckers von seiner molekularen Struktur wurde bisher so gut wie nie beobachtet. Das erste und bislang einzige Beispiel war humanes Heparin, dessen gerinnungshemmende Wirkung auf einer bestimmten Verteilung von Schwefelsäureresten entlang der Zuckerkette beruht. Heute ist bekannt, dass Heparin diese Wirkung erzielt, indem es einen Gerinnungsfaktor an diese spezifische Bindungsstelle bindet und diese somit inaktiviert. Und auf Basis dieser Erkenntnisse ist es gelungen, Antikoagulanzien mit genau dosierter Wirkung und ohne Nebenwirkungen zu entwickeln, die z. B. Dialysepatienten. „Wir hoffen nun, dass die genau definierten Chitosane in ähnlicher Weise eingesetzt werden können, um zum Beispiel eine narbenfreie Wundheilung unter Chitosan-Auflagen zu ermöglichen“, sagt Bruno Moerschbacher, dessen Forschungsgruppe bereits mit Dermatologen und anderen biomedizinischen Experten zusammenarbeitet.