Die drei Proteine Teneurin, Latrophilin und FLRT h alten zusammen und bringen benachbarte Neuronen in engen Kontakt, was die Bildung von Synapsen und den Informationsaustausch zwischen den Zellen ermöglicht. In der frühen Phase der Gehirnentwicklung führt das Zusammenspiel derselben Proteine jedoch zur Abstoßung einwandernder Nervenzellen, wie Forscher des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie und der Universität Oxford nun gezeigt haben. Der detaillierte Einblick in die molekularen Steuerungsmechanismen von Gehirnzellen wurde durch die Strukturanalysen des Proteinkomplexes möglich.
Gut verankert sitzen die Proteine Teneurin und FLRT auf der Oberfläche von Nervenzellen. Sie h alten auf anderen Neuronen Ausschau nach ihrem Partnerprotein Latrophilin. Wenn die drei Proteine in Kontakt kommen, verbinden sie sich und h alten die Membranen zusammen. Sie lösen dann noch weitgehend unbekannte Signalkaskaden aus und fördern so die Ausbildung einer Synapse an dieser Stelle.
Teneurin und seine Partnerproteine sind dafür bekannt, diese wichtigen Zellkontakte im Gehirn herzustellen. Teneurin ist auch ein evolutionär sehr altes Protein, mit verwandten Proteinen, die in verschiedenen Organismen gefunden werden, von Bakterien bis zu Würmern, Fruchtfliegen und Wirbeltieren. Die Rolle dieser Proteine während der Gehirnentwicklung, wenn Neuronen noch keine Synapsen bilden, blieb jedoch unbekannt.
Untersuchung der Funktion des Proteinkomplexes
Ein internationales Forscherteam hat nun die Struktur des Proteinkomplexes Teneurin-Latrophilin im Detail untersucht. Mittels hochauflösender Röntgenkristallographie konnten sie endlich mehr über seine Funktion in der frühen Gehirnentwicklung herausfinden.
Die Strukturanalysen und die anschließende Simulation der FLRT-Bindung ermöglichten es den Forschern, die Bindungsstellen zu identifizieren, an denen sich die drei Proteine miteinander verbinden. Durch minimale Veränderungen konnten die Wissenschaftler diese Bindungsstellen unterbrechen. Dadurch veränderte sich das Wanderverh alten der embryonalen Neuronen im Gehirn von Mäusen.
Embryonale Neuronen wandern während der Gehirnentwicklung in "ihre" Gehirnregion. Wie die Untersuchungen nun gezeigt haben, helfen die drei Proteine dabei, die Zellen an ihr Ziel zu lotsen. „Erstaunlicherweise geschieht dies nicht wie bei der Synapsenbildung durch Anziehung, sondern durch Abstoßung der Zellen“, erklärt Rüdiger Klein vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie.„Diese Funktion war völlig neu und unerwartet“, fügt Elena Seiradake von der Universität Oxford hinzu.
Unterschiedliche Reaktionen
Embryonale Neuronen haben oft nur einen Zellkörper und kurze Vorsprünge, sogenannte Neuriten. Wenn Teneurin und FLRT an diesen Strukturen an Latrophilin binden, stoßen sich die Zellen gegenseitig ab. Dadurch verlieren die wandernden Zellen teilweise ihren H alt und schreiten langsamer voran. So geleitet, erreichen die Zellen zum richtigen Zeitpunkt ihr Zielgebiet im Gehirn, wo sie heranreifen und ein langes Axon bilden.
Auf der Oberfläche eines solchen Axons lösen Teneurin und FLRT jedoch bei der Begegnung mit Latrophilin keine abstoßende Reaktion mehr aus. Hier und jetzt ziehen die Proteine die Zellen zusammen, induzieren die Bildung von Synapsen und führen schließlich zum Aufbau von Netzwerken kommunizierender Neuronen. „Gleiche Proteine führen also zu völlig unterschiedlichen Reaktionen – je nachdem, wo sie sich auf der Zelle befinden“, fasst Elena Seiradake die Ergebnisse zusammen.
„Wir haben jetzt ideale Bedingungen, um weitere Interaktionen der Proteine während der Gehirnentwicklung zu untersuchen“, erklärt Rüdiger Klein. In ihren bisherigen Studien konnten die Forscher zeigen, dass FLRT über Wechselwirkungen mit eigenen Bindungspartnern sowohl das Migrationsverh alten junger Nervenzellen als auch die Bildung von F alten auf der Gehirnoberfläche beeinflusst. „Es wird spannend zu sehen, ob und wie Teneurin und Latrophilin an diesen Wechselwirkungen beteiligt sind“, sagt Klein.