Die Linse des menschlichen Auges besteht aus einer hochkonzentrierten Proteinlösung, die der Linse ihre große Brechkraft verleiht. Schutzproteine verhindern ein Leben lang, dass diese Proteine verklumpen. Ein Team von Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM) hat nun die genaue Struktur des Proteins alpha-A-Crystallin aufgeklärt und dabei eine wichtige Zusatzfunktion entdeckt.
Die Brechkraft der menschlichen Augenlinse stammt von einer hochkonzentrierten Proteinlösung. Diese Proteine werden während der Embryonalentwicklung gebildet und müssen dann ein ganzes Leben lang funktionieren, da die Linse keine Maschinerie hat, um Proteine zu synthetisieren oder abzubauen.
Wenn Linsenproteine beschädigt werden, ist das Ergebnis Katarakt - eine Trübung der Linse - oder Presbyopie. Hier kommen Schutzproteine ins Spiel: Sie sorgen dafür, dass die Proteine des Auges auch unter widrigen Umwelteinflüssen ihre Form beh alten.
"Die beiden Schutzproteine Alpha-A und Alpha-B-Crystallin machen rund 30 Prozent der Proteine im menschlichen Auge aus und sind für die Funktion der Linse enorm wichtig", sagt Christoph Kaiser, Erstautor von die Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature Structural and Molecular Biology.
Struktur eines facettenreichen Proteins
Versuche, die Struktur von alpha-A-Kristallin zu bestimmen, waren über 40 Jahre lang erfolglos. Der Durchbruch gelang einem Forscherteam um die TUM-Professoren Sevil Weinkauf, Professor für Elektronenmikroskopie, und Johannes Buchner, Professor für Biotechnologie, durch die Kombination von Kryo-Elektronenmikroskopie, Massenspektrometrie, NMR-Spektroskopie und Molecular Modeling.
"Alpha-A-Kristallin ist extrem facettenreich", sagt Sevil Weinkauf. „Das macht es sehr schwierig, seine Struktur zu bestimmen. Erst nachdem wir eine neue Strategie zur Datenanalyse entwickelt hatten, konnten wir zeigen, dass es in Lösung unterschiedliche Strukturen mit 12, 16 oder 20 Untereinheiten annimmt.“
Oxidationsschutz
Die typische Funktion von Schutzproteinen besteht darin, anderen Proteinen zu helfen, ihre Form zu bewahren, wenn sie gestresst sind, zum Beispiel durch hohe Temperaturen. Deshalb werden sie auch als Chaperone bezeichnet.
Auch Alpha-A und Alpha-B-Kristallin haben diese Funktion. Außerdem hat menschliches alpha-A-Kristallin zwei Cysteinreste. Die Schwefelatome in diesen Resten können Disulfidbrücken bilden. Eingehende biochemische Studien haben gezeigt, dass diese Verbrückung einen signifikanten Einfluss auf verschiedene Eigenschaften des Proteinmoleküls hat.
"Eine gängige Theorie besagt, dass die Disulfidbrücken durch eine Schädigung des Proteins, beispielsweise durch Sauerstoff, entstehen", sagt Johannes Buchner. "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Alpha-A-Kristallin eine aktive Rolle beim Schutz anderer Proteine vor Oxidation spielen könnte."
Motivation für weitere Forschung
Die Untersuchungen des Forscherteams zeigen, dass oxidiertes Alpha-A-Kristallin sogar die vorhandene Disulfidbrücke auf andere Proteine übertragen kann. „Diese Fähigkeit entspricht der einer Protein-Disulfid-Oxidase“, sagt Christoph Kaiser. „Alpha-A-Kristallin kann somit den Redoxzustand anderer Linsenproteine beeinflussen. Diese Funktion erklärt auch, warum etwa die Hälfte der Alpha-A-Kristalline in Embryonen bereits solche Disulfidbrücken tragen.“
„Rund 35 Prozent aller Erblindungsfälle sind auf Katarakte zurückzuführen“, sagt Sevil Weinkauf. „Das molekulare Verständnis der Funktionen von Augenlinsenproteinen bildet eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung von Präventions- und Therapiestrategien. Die Erkenntnis, dass alpha-A-Kristallin auch eine wichtige Rolle beim Schutz vor Oxidation spielt, wird nun weitere Forschungen hervorbringen."
Die Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (SFB 1035 und Exzellenzcluster Center for Integrated Protein Science Munich) und dem Wellcome Trust gefördert. An der Forschung waren Wissenschaftler der TU München, des Instituts für Strukturbiologie des Helmholtz Zentrums München, des Instituts für Biotechnologie der Technischen Universität Berlin und des Wellcome Centre for Cell Biology der University of Edinburgh (UK) beteiligt.